In Hamburg gibt es eine kleine Niederlassung des TASCHEN-Verlag. Wenn es mich in die Gegend treibt, schaue ich immer mal wieder rein, denn dieser Laden ist ein kleines Paradies für Liebhaber von Foto-Bildbänden. Bei TASCHEN sind jede Menge tolle Fotobücher erschienen, die bei mir das Haben-Wollen-Gen aktivieren und so kommt es nicht selten vor, dass ich mit einem weiteren Exemplar für meine Sammlung den Laden wieder verlasse.
Als ich vor wenigen Wochen den Laden betrat, stand dort im Fenster ein riesiges Buch, aufgebahrt auf einem edlen Ständer. Ich hatte bereits von dem Werk von Annie Leibovitz im SUMO-Format gehört, aber hier lag es jetzt live vor mir und ich durfte es sogar anfassen. Klingt irgendwie ehrfürchtig und ein klein wenig war mir auch so zumute.
Es gibt wenige Fotografen, die mir sofort einfallen, wenn man mich nach einem Vorbild fragt. Annie Leibovitz gehört zu diesen wenigen. Ich liebe sie, also ihre Bilder Sie macht genau das, was mich interessiert. Sie ist eine der wenigen Fotografen, die den Spagat zwischen Kunst und Kommerz mit Bravour meistern. Ein Grossteil der Bilder sind Auftragsarbeiten und doch grosse Kunst. Annie Leibovitz ist auch die Fotografin, die mir Spass an Gruppenbildern gab. Jeder, der schon mal ein Gruppenbild auf einer Hochzeit geschossen hat, weiss wovon ich rede
Annie hat viele grossartige Gruppenbilder inszeniert und jedes einzelne fesselt mich.
Mittlerweile ist Annie Leibovitz seit mehr als 40 Jahren im Geschäft. Ihre Geschichte kennen wohl sehr viele, die sich für Fotografie begeistern. Ihre Arbeit für das Rolling Stone Magazin und Vanity Fair sind legendär. Klingt komisch, aber mich fasziniert vor allem, dass sie noch lebt. Annie Leibovitz schwebt zwar fotografisch in einer anderen Sphäre aber doch ist sie irgendwie greifbar. Immer wieder erscheinen ihre Bilder irgendwo in aktuellen Publikationen. Man könnte einfach mal zu ihrem Haus fahren und klingeln … also rein theoretisch
Da lag also dieses riesige Buch vor mir. 50 x 69 cm gross, 476 Seiten dick. Aufgeschlagen noch viel imposanter. Und dann die Fotos, die meisten über eine Doppelseite, so gross wie ein Bild, das normalerweise an der Wand hängt. Ich schlage zufällig das Gruppenfoto von “The Sopranos” auf und bin fasziniert. Man muss noch einmal zwei Seiten ausklappen und nun liegt es über vier Seiten vor mir. Scheisse, ist das geil. Ein Portrait von R2D2 fällt mir sofort auf, nur wenige Seiten hinter der Queen. Wie cool ist das denn? Es ist unglaublich, wen Annie Leibovitz bereits alles fotografiert hat. Es ist aber nicht eine plumpe Sammlung von irgendwelchen Hollywood-Grössen, sondern bei jedem einzelnen Bild hat man das Gefühl, dass Annie es speziell für diesen Menschen inszeniert hat. Mich fasziniert es zu sehen, wie sie Menschen portraitiert, die man aus dem öffentlichen Leben kennt, so aber noch nie gesehen hat. Faszinierend.
Ich schwänzelte um das Buch herum, zog aber einen Kauf angesichts des Preises nicht in Erwägung. Dennoch liess ich mich von dem freundlichen Verkäufer, der die Leidenschaft für Fotobücher offensichtlich teilte, belabern beraten. Er erzählte von der Entstehung des Buches, von dem Papier, die vier unterschiedlichen Cover, limitierter Auflage und und und. Danke, guter Mann. Wir verliessen den Laden ohne Buch, dafür mit einem Hirngespinst. Ich mache es kurz. Etwa eine Woche später stand ich wieder im Laden und bestellte den verdammten Schinken. Ich habe bereits so viel Geld für fotografischen Schnickschnack ausgegeben, meistens irgendwelche Technik. Nichts davon hat Bestand, jedes einzelne Spielzeug verliert lediglich an Wert und wird irgendwann wieder verkauft, ersetzt oder verschrottet. Bei so einem Buch ist es etwas anderes, das wird mit der Zeit eher besser. Man braucht meiner Meinung nach länger, um so ein Buch zu verstehen, als eine neue Kamera. Mein Bauch sagte mir “Zugreifen” und meine Frau nickte ebenfalls ab.
Vor wenigen Tagen kam das Buch nun an. Ein riesiger Karton von ca. 50 Kg. Entschieden hatte ich mich übrigens für das Cover mit Patti Smith, da mich das spontan ansprach. Nun ging es ans Auspacken und Aufstellen. Das war schon irgendwie ein besonderer Moment, den ich dann auch spontan mit ein paar Fotos festhalten musste. Um einen Grössenvergleich zu geben, musste dann auch mein Hund Scampi mal wieder als Model herhalten. Zum Glück wird das Buch inkl. Ständer geliefert. Ohne diesen Ständer wäre es gar nicht handhabbar. Es ist einfach nur riesig, schwer und unhandlich. Hat man das Buch aber auf den Ständer gewuchtet und schlägt es zum ersten mal auf, wird man automatisch ganz ruhig und fängt an das erste Bild aufzusaugen. WOW!
Nun steht das Buch seit einigen Tagen als Möbelstück in unserem Wohnzimmer. Ich habe erst einen Bruchteil der Bilder angeschaut. Jeden Tag blättere ich eine Seite um und lasse es den ganzen Tag so liegen, um immer mal wieder drauf zu schauen. Ich lese in dem Begleitbuch den Text zu dem jeweiligen Bild und schaue es mir an. Ich glaube in keinem Fotobuch wurde ich bisher so lange auf einer Seite gefesselt. Aber das ist auch irgendwie kein Buch, sondern jede einzelne Seite ein Kunstwerk für sich.
Vielen Dank Annie Leibovitz und Benedikt Taschen für diese grossartige Inspiration.